Die bayerische Regierung hat beschlossen, dass Landwirt*innen ihre Streuobstwiesen artgerechter bewirtschaften sollen. Einige von ihnen holzen daraufhin ihre Bäume ab – ausgerechnet im Wahlkreis des Umweltministers.
Wo früher die Süßkirsche ihre zart-weiße Blüte austrieb, liegt Totholz. Zweireihig liegen die Zweige und Äste der toten Bäume nebeneinander, daneben ragen die nun kargen Baumstumpen in die Höhe. Artenschützer Helmut Schmitt vom bayerischen Landesbund für Vogelschutz (LBV) zeigt Bilder von abgeholzten Streuobstwiesen in der Fränkischen Schweiz.
Die Region ist über die Grenzen hinaus für die blühenden Obstbäume bekannt. Jetzt werden sie reihenweise gefällt. Der LBV dokumentierte den jüngsten Fall im Juli. „Ich gehe davon aus, dass es in den letzten Monaten 40.000 bis 50.000 Quadratmeter waren“, schätzt er. Die Rodungen wurden in der Brutzeit seltener Vögel vorgenommen, Schmitt erstattete Anzeige. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Doch die Rodungen könnten nicht nur für Gartenrotschwanz, Wendehals und für die anderen Streuobstwiesenbewohner zum Verhängnis werden. Sie sind eine Gefahr für das bayerische Artenschutzgesetz. Und ein politisches Problem. Denn auf den Streuobstwiesen in der Idylle der Fränkischen Schweiz ballt sich der Widerstand der Landwirt*innen. Sie fühlen sich bevormundet. Unterstützt und befeuert werden sie vom Bauernverband – und Teilen des bayerischen Kabinetts.
Millionen Bayer*innen wollen Bienen retten
Das Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat im April beschlossen, das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ zum Gesetz zu machen. Zuvor hatten mehr als anderthalb Millionen Bayer*innen für den Artenschutz unterschrieben – „Rettet die Bienen” ist damit das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte Bayerns.
Nachdem die Regierung das Volksbegehren angenommen hat, initiierte sie einen Runden Tisch – unter anderem mit Vertreter*innen der Landwirtschaft. Entworfen wurde ein „Begleitgesetz“, das die massive Kritik einiger Bäuer*innen auffangen sollte. Seit dem 1. August 2019 sind die beiden Gesetze in Kraft.
Dass dieser Versöhnungsversuch teilweise gescheitert ist, zeigen die vielen gefällten Obstbäume. Und der Bauernverband, der sich mit Landwirt*innen, die Bäume abgeholzt haben, solidarisiert.
Hermann Greif, der Bezirkspräsident des Bauernverbandes in Oberfranken, kann diejenigen verstehen, die ihre Streuobstwiesen dem Erdboden gleich gemacht haben. „Die Bauern, die aus Protest ihre Bäume gefällt haben, haben das auch nur mit erheblichem Bauchweh getan“, sagt er. Niemand pflücke gerne Bäume raus, die der Vater oder Großvater gepflanzt habe. „Aber als Biotope wären die Streuobstwiesen ein erheblicher Klotz am Bein gewesen”, so Greif.
Landwirt*innen sind verunsichert
Das Artenschutzgesetz erklärt Streuobstwiesen zum Biotop, wenn sie über 2.500 Quadratmeter groß sind. Diese Vorstellung macht den Landwirt*innen Angst, denn ihre Bestände werden nun nach und nach kartiert. Dann müssen die Obstbäuer*innen ihre Biotope erhalten, dürfen Flächen zum Beispiel nicht mehr als Bauland verkaufen oder die Streuobstwiesen abholzen und stattdessen andere Pflanzen auf den Flächen anbauen.
Außerdem befürchten die Landwirt*innen, dass es komplizierter wird, die Wiesen zu bewirtschaften. Denn sie dürfen nach dem neuen Gesetz nur noch begrenzt Pestizide verwenden oder einzelne Bäume entfernen.
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Den Unmut verstehen die Befürworter*innen des Gesetzes nicht. Bayern stelle hier keine unerfüllbaren Forderungen an die Streuobstwiesenbesitzer*innen, sagt Artenschutz-Experte Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
„Von Insekten und Schmetterlingen auf der Wiese bis zum Steinkauz in hohlen Baumstämmen findet man unendlich viele Arten “, so der Experte zur Bedeutung der Streuobstwiesen für den Artenschutz. In anderen Bundesländern seien sie deshalb schon Biotope – und die Bestände hätten sich erholt.
Artenschutz hat auch für Grünen-Politikerin Rosi Steinberger höchste Priorität. Sie saß mit am Runden Tisch und hat mit dem Bauernverband diskutiert. Zugeständnisse habe es genug gegeben, sagt die bayerische Landtagsabgeordnete. Es sei sogar möglich, vereinzelt Flächen abzuholzen, wenn dafür ein Ersatz geschaffen wird.
Man habe sich im Volksbegehren zwar auf die Landwirt*innen fokussiert, dies sei aber auch notwendig. „Den größten Verlust von Artenvielfalt haben wir auf dem Land und nicht in den Gärten”, so Steinberger. Die Landwirt*innen müssten ihre Aufgabe nun wahrnehmen.
„Der Gewinn, den ich mit den Streuobstwiesen mache, geht gegen Null“
Roland Schmitt
Obstbauer Roland Schmitt wäre durchaus bereit, sich dieser Aufgabe zu stellen. „Wenn die Gesellschaft das will, bin ich gerne bereit, meinen Beitrag zu leisten“, sagt der 56-Jährige. Schon sein Großvater hat Streuobstwiesen in der Fränkischen Schweiz angepflanzt, seit seiner Kindheit hat er beim Ernten von Mirabellen, Süßkirschen und Zwetschgen mitgeholfen. Vor 19 Jahren hat er den Hof übernommen.
Zwar baut er mittlerweile sein Obst zum Großteil in den ertragreicheren Monokulturen an, einige Streuobstwiesen hat er trotzdem stehen lassen. „Es müssen aber alle einen Beitrag leisten“, findet er, schließlich profitiere die ganze Region, beispielsweise der Tourismus. Für die Flächen, die er nicht mehr anders nutzen kann, erwartet er eine Gegenleistung – also Geld. Das ist im Begleitgesetz auch vorgesehen. Doch die Höhe ist unklar, sie hängt vom nächsten Haushalt ab. Und so bleibt Roland Schmitt misstrauisch.
Ob das Problem aber wirklich ein finanzielles ist, scheint fraglich. „Der Gewinn, den ich mit den Streuobstwiesen mache, geht gegen Null“, sagt Roland Schmitt. Die Form des Anbaus ist antiquiert. „Es geht hier um ein prinzipielles Unbehagen der Landwirte“, meint Grünen-Politikerin Rosi Steinberger, der Bauernverband und einige bayerische Politiker*innen würden es befeuern.
Koalition ist uneins
Auch Joseph Schmid sieht die Schuld für die Fundamental-Opposition vieler Landwirt*innen beim Bauernverband. Er ist Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft” (ABL) in Bayern, sein Verband hat das Artenschutzabkommen unterstützt, er saß ebenfalls mit am Runden Tisch. „Der Bauernverband hat in der Diskussion nicht weniger als den Untergang der Landwirtschaft prophezeit”, sagt Schmid. „Davon haben sich die meisten Bauern aufhetzen lassen.”
Den Zweifeln etwas entgegen zu setzen, das wäre Aufgabe der Regierung gewesen. Die ist sich aber uneins. Denn ausgerechnet die Partei, die sich mit der CSU den Kabinettstisch teilt, äußert immer wieder Zweifel am Artenschutzgesetz: die Freien Wähler.
„Da stellen Leute, die noch nie einen Baum gepflanzt und noch nicht einmal eine Schaufel zu Hause haben, Obstgärten der anderen plötzlich unter Biotopschutz”, sagt Hubert Aiwanger, der stellvertretende Ministerpräsident, im Juni. Zwei Monate, nachdem er zusammen mit Markus Söder angekündigt hat, das Volksbegehren zum Gesetz machen zu wollen. Ausgerechnet im Interview mit der oberfränkischen Regionalzeitung „inFranken“.
Rolle des Umweltministers wirft Fragen auf
Und auch der Umweltminister Thorsten Glauber, ebenfalls von den Freien Wählern, sprach sich offen gegen das Gesetz aus. Auf einer Veranstaltung des oberfränkischen Bauernverbandes erklärte er im April, von Anfang an gegen das Volksbegehren gewesen zu sein. Und dass er auch den Beschluss der Staatsregierung, es anzunehmen und mit einem Begleitgesetz zu versehen, nicht mitgetragen habe. So wird Glauber im Fachmagazin „top agrar“ zitiert.
Und das 16 Tage nachdem Markus Söder angekündigt hatte, genau das zu tun. Das war vor der Verabschiedung des Gesetzes im Landtag. Auf Nachfrage betont Glauber, er habe sich von Anfang an für ein „Volksbegehren Plus“ ausgesprochen. Er meint damit die Lösung des bayerischen Kabinetts, schreibt: „Ich will mehr statt weniger Streuobstwiesen.“
Mehr von jenen Streuobstwiesen, für die Glaubers Wahlkreis berühmt ist: Oberfranken. Der Umweltminister ist in Forchheim geboren, stammt aus dem gleichen Dorf wie der örtliche Bauernverbandspräsident Greif. Aus der Region, in der in den letzten Monaten so viele Obstbäume verschwunden sind.
Autor*innen
Friederike weiß jetzt: Manchmal ist eine Streuobstwiese mehr als eine Streuobstwiese!
Florian erkennt, dass die große Politik manchmal irgendwo da draußen kulminiert. Fern von Kabinettstischen und Plenardebatten.