Sie bezog das Kuhfutter aus Südamerika, produzierte Milch für den Weltmarkt und war Mitglied im Bauernverband. Das alles gab Isabella Hirsch auf. Seitdem ist sie wieder gerne Landwirtin.
Bis zur Hüfte verschwindet Isabella Hirsch in Kornblumen und Margeriten. Zwischen den Fingern zerreibt sie die kleinen weißen Blüten der Schafgarbe. Deren würziger Duft hängt über dem Blühacker hinter dem ehemaligen Kuhstall und lockt Insekten an. Seit fast 30 Jahren ist Isabella Hirsch Bäuerin.
Jahrelang versuchten sie und ihr Mann Otto profitmaximiert zu wirtschaften. Der Hof im Landkreis Ansbach in Mittelfranken wuchs auf zeitweise 80 Milchkühe. Die Hirschs glaubten: Größer ist gleich besser. Heute denken sie anders. Inmitten der Blumen verscheucht sie immer wieder Bienen und andere Insekten vor ihrem Gesicht. „Der Nachteil vom Artenschutz”, sagt sie und lacht.
Seit einigen Jahren setzt sich Hirsch in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL) ein. Der Verein ist einer der wenigen landwirtschaftlichen Verbände, der im Februar dieses Jahres das Volksbegehren Artenschutz in Bayern unterstützt hat – gegen den Widerstand des Bauernverbandes, der mächtigsten Interessenvertretung in der deutschen Landwirtschaft.
Rund 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe sind Mitglied im Bauernverband. Eine aktuelle forsa-Umfrage aber zeigt: 56 Prozent der befragten Landwirte fühlen sich schlecht von ihm vertreten. Isabella Hirsch trat bereits vor über zehn Jahren aus. „Der Bauernverband will das Wachstum. Immer weniger Betriebe sollen immer größere Strukturen bewirtschaften, aber so möchte ich nicht arbeiten”, sagt Hirsch.
Das Höfesterben ist Realität
Kurz nach der Milchkrise 2008, als viele Bauern ihre Milch literweise in den Abfluss kippten, um höhere Preise zu erzwingen, entscheidet sie, dem Bauernverband den Rücken zu kehren. Das Höfesterben ist damals bereits Realität: Allein zwischen 2003 und 2018 mussten deutschlandweit 154.000 Betriebe aufgeben – etwa 36 Prozent.
Für Isabella Hirsch ist der Bauernverband dafür mitverantwortlich. Dabei vertritt er in Berlin und Brüssel die Landwirte. Kritiker werfen ihm jedoch Interessenkonflikte vor.
„Es gibt eine enorme Zahl von Verflechtungen und die sind sehr intransparent. So sitzt zum Beispiel der Präsident des Bauernverbandes in diversen Aufsichtsräten”, sagt Guido Nischwitz, Leiter des Forschungsbereichs Stadt und Region am Institut Arbeit und Wirtschaft in Bremen.
Er ist Autor einer vom Naturschutzbund (NABU) in Auftrag gegebenen Studie über die Netzwerke des Bauernverbandes. Dessen Präsident Joachim Rukwied sitzt beispielsweise im Aufsichtsrat der BayWa AG München – einem börsennotierten Agrarkonzern, der unter anderem Pflanzenschutzmittel vertreibt.
Markus Drexler, Pressesprecher des Bayerischen Bauernverbandes, findet das nicht weiter schlimm. „Das Wesen einer politischen Interessenvertretung besteht darin, Einfluss zu nehmen und dort präsent zu sein, wo die Debatten geführt werden.”
Ökologischer, weiblicher, regionaler
An einem verregneten Mittwochmorgen setzt sich Isabella Hirsch in die Bahn und fährt nach München zur Vorstandssitzung der ABL. Drei Stunden hin, drei Stunden zurück. Dazwischen sechs Stunden Sitzung. Während der Bauernverband in einem imposanten Bau in der Münchner Innenstadt sitzt, trifft sich die ABL im Einewelthaus.
2500 Mitglieder vertritt sie deutschlandweit. In einem kargen Raum haben dreizehn Vorstandsmitglieder die Tische u-förmig zusammengestellt. Sie reichen Schokolade und Tiramisu in kleinen Gläschen herum. Die Luft ist stickig. Es riecht nach Filterkaffee. Isabella Hirsch schaut über den Rand ihrer Lesebrille. Sie hebt die Hand und sagt: „Also, der aktuelle Getreidepreis ist schlicht nicht vermarktbar. Der Biomarkt ist zusammengebrochen.”
Allgemeines Kopfnicken. „Die grundsätzliche Angst der Bauern vor Biolandwirtschaft kann ich nicht verstehen”, sagt ein weiteres Mitglied. „Es ist traurig. Wir haben ein riesiges Potenzial, uns in Sachen Klimawandel einzubringen.” Die ABL will eine Alternative zum Bauernverband sein: ökologischer, weiblicher, regionaler. Neben Artenschutz setzt sich der Verein besonders für kleine und mittelständische Betriebe ein.
Deshalb ist eine wesentliche Forderung der ABL: Die Direktzahlungen der EU an die Landwirte dürfen nicht mehr pauschal nach Fläche verteilt werden. Jährlich gibt die EU etwa 58,9 Milliarden Euro für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) aus – das sind 40 Prozent des gesamten EU-Haushaltes. Davon fließen 6,45 Milliarden nach Deutschland.
Aktuell bekommen 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent dieser Fördermittel. Um das zu ändern und kleinere Betriebe wieder konkurrenzfähig zu machen, fordert die ABL ein Punktesystem. Demnach sollen Landwirte für gesellschaftliche Leistungen wie Trinkwasserschutz, Artenvielfalt oder wesensgerechte Tierhaltung Punkte bekommen und entsprechend honoriert werden.
Zwischen den Wasserflaschen und halbvollen Gläsern auf dem Konferenztisch liegt ein dickes Buch, Titel: „Mördersaat“. Eine Schrift gegen genmanipulierte Pflanzen. Die Debatte darum war ein Schlüsselmoment in Isabella Hirschs Leben. „Der Bauernverband sprach sich damals dafür aus, dass auch wir in Deutschland Gentechnik zulassen sollten”, sagt sie. „Sonst verpasse man den Anschluss an den Weltmarkt.”
„Ich achte darauf, regionale Lebensmittel zu kaufen, aber meine Kühe bekommen Soja aus Südamerika?”
Isabella Hirsch
Isabella Hirsch aber will nicht für den Weltmarkt produzieren. Als ihr eigener Betrieb noch groß und sie noch im Bauernverband war, importierte sie Soja aus Südamerika – ein wichtiger Eiweißlieferant für die Kühe. Mit dem Futter geben die Tiere mehr Milch. „Eines Tages stand ich im Stall und habe es nicht mehr verstanden”, sagt Hirsch. „Ich selbst achte darauf, regionale Lebensmittel zu kaufen, aber meine Kühe bekommen Soja aus Südamerika?” Hirsch findet, Bauernhöfe sollten ihre Region mit Lebensmitteln versorgen und nicht den Weltmarkt.
An einem Dienstagmorgen blättert Isabella Hirsch am Küchentisch durch einen dicken Ordner voller Landkarten, Pressemitteilungen und Positionspapiere. Eigentlich schmeißt sie beleidigende Briefe weg, aber jetzt zieht sie den von Joachim Belzner, einem Bekannten der Familie, mit Fingerspitzen aus dem Ordner hervor.
Mit gelbem Edding hat sie umrahmt, was der Geflügelbauer 2019 über sie in der Fränkischen Landeszeitung schrieb. „Wenn Isabella Hirsch sich als Bäuerin zur Kronzeugin gegen die moderne Landwirtschaft aufschwingt, ist das eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit und unehrlich, denn sie ist keine Bäuerin mehr.“
Damit trifft er einen wunden Punkt. Tatsächlich haben die Hirschs Ende 2018 ihren Milchviehbetrieb und die Rindermast eingestellt. Seit fünf Jahren vermieten sie Ferienwohnungen und haben in Photovoltaik investiert. Mittlerweile ist jeder Quadratmeter Dachfläche auf alten Stallungen und dem Wohnhaus mit Panels belegt.
Aber nach wie vor bewirtschaften sie 70 Hektar Land und produzieren unter anderem Getreide und Sommergersten. Dabei achten sie auf den Naturschutz, lassen größeren Abstand zwischen den Getreidereihen, um so Brutplätze für Vögel zu schaffen.
Die Forderungen von Hirsch und der ABL nennt Belzner „rückwärtsgewandt”. Das seien alles Betriebe, die aufgehört hätten, für die Lebensmittelindustrie zu produzieren. „Lebensmittel und Landschaft sind aber keine Industrieware“, sagt Isabella Hirsch. „Ich bin Bäuerin. Für mich ist das die Art zu leben.“
Autorinnen
Rebecca steckte ihren Kopf in einen Blühacker und stelle fest: Da ist ganz schön was los.
Elena muss feststellen, dass, je mehr sie über Landwirtschaft erfährt, das Einkaufen umso komplizierter wird.