Familien aus der Stadt machen Ferien auf dem Bauernhof. Der ist dadurch kaum mehr wieder zu erkennen: Ruhig und reinlich muss er sein, damit es den Gästen auch gefällt.
Vor dem Hühnerstall parkt ein alter Traktor, ein Hofhund fläzt sich in der Mittagssonne und aus Blumenkübeln am Balkon quellen Geranien. Unter dieser floralen Explosion frühstücken täglich die Gäste. Sie machen Urlaub auf dem Bauernhof im Chiemgau – Idylle pur. Wer dort ankommt, kommt nicht umhin, sich sofort wohlzufühlen.
Doch etwas ist seltsam: Es ist so still. Die Hühner scharren am anderen Ende des Hofes. Ihr Gackern ist nur leise zu hören. In einem Extragehege wuseln ein paar Pfauenküken. Die Schildkröten machen ohnehin keinen Mucks. Die beiden Schweine suhlen sich hinter dem Haus in ihrem Gehege, außer Sichtweite der Frühstücksterrasse. Dort hört man die Kanarienvögel in ihrem Käfig neben dem Traktor. „Eine Spielerei von mir“, sagt Thomas Reitmaier.
„Eine Ferienwohnung macht ungefähr so viel Arbeit wie zehn Kühe.”
Thomas Reitmaier, Landwirt und Gastgeber
Dem Landwirt gehört der Huberhof. Er umfasst 13 Hektar Wald und 19 Hektar Grünland. Doch ein klassischer Bauer ist Reitmaier schon lange nicht mehr.
Früher hielt er Milchvieh, seit 2005 ist der Huberhof ein reiner Ferienbauernhof. Reitmaier und sein Lebensgefährte standen damals vor einer schwierigen Entscheidung: Rund 700.000 Euro hätten sie investieren müssen, um weiterhin als Milchbetrieb zu bestehen. Sie entschieden sich dagegen und für einen Neustart.
Öfter an der Rezeption als auf der Weide. Thomas Reitmaier (links) und sein Lebensgefährte Reinhard. Foto: Walter A. Drössler
Reitmaier sagt, er habe den Schritt keine Sekunde bereut. „Es fängt niemand mehr mit der Milchwirtschaft an, der einmal aufgehört hat“, so Reitmaier. „In den nächsten zehn Jahren werden das eh nur noch Idealisten und Betriebe mit mehr als 120 Kühen machen.“ Reitmaier arbeitet jetzt mit Menschen anstatt mit Tieren.
Und ist damit kein Einzelfall. Etwa 10.000 Betriebe in Deutschland bieten den sogenannten Agrotourismus an. „Es ist eher die junge Generation, die aufgibt“, sagt Reitmaier. „Denn die rechnet.“
Auch Reitmaier selbst verdiene deutlich mehr, seit er seinen Hof zum Hotel umfunktioniert hat. Die Zimmer, die er anbietet, sind oft lange im Voraus ausgebucht. Jeden November fliegt er in den Urlaub auf die Kanaren. Mit dem Milchbetrieb war das finanziell und zeitlich undenkbar.
Der Markt für den Agrotourismus boomt: Jedes Jahr machen ungefähr 4,5 Millionen Menschen Urlaub auf dem Bauernhof. Mit Ponyreiten für die Kleinsten oder Outdoor-Cooking für Erwachsene setzen die Bauern jährlich im Schnitt rund 900 Millionen Euro um. Noch immer ist die Nachfrage größer als das Angebot.
Vor allem bei Familien mit Kindern sind die Ferien auf dem Land ein Hit. Zum Leben zieht es die Menschen seit Jahren in die Städte. Doch wenigstens in den Sommerferien darf es ein bisschen Natur sein. Indes entwickeln sich die Ferienbauernhöfe ähnlich wie die landwirtschaftlichen Betriebe im Allgemeinen: Sie werden entweder größer oder geben ganz auf. So werden die Betriebe zwar weniger, die Betten jedoch trotzdem immer mehr.
Bäuerliches Leben mit Sektempfang
Der Huberhof hat inzwischen Platz für 26 Erwachsene und 26 Kinder. „Eine Ferienwohnung macht ungefähr so viel Arbeit wie zehn Kühe“, sagt Reitmaier. Weiter expandieren möchte er zurzeit nicht. „Mehr schaffen wir nicht.”
Dagmar Vanderfuhr ist bekennende Bauernhof-Urlauberin. Bereits zum siebten Mal ist sie mit ihrem Mann und zwei Kindern auf dem Huberhof zu Gast. Sie genießt das Vertrauen, das hier alle einander entgegenbringen. Und sie hebt hervor, was die Ferienwohnungen zu bieten haben: „Bei der Ankunft sind die Handtücher wie kleine Schwäne auf dem Bett gefaltet und es gibt Chiemseer Sekt als Willkommensgruß”, berichtet sie.
Nicht jeder Bauer kann auch mit Gästen umgehen. Das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forst hilft deswegen nach und bietet Weiterbildungen für Einsteiger ins Urlaubsgeschäft an. In verschiedenen Seminaren lernen die Landwirte mehr über Marketing und Rhetorik. Erfahrene können sich in einem Aufbauseminar zu „Profi-Gastgebern” ausbilden lassen.
„Die meisten haben ja keine Hotellerie-Ausbildung. Da muss man ganz vorne bei den Hygienevorschriften anfangen”, sagt Franziska Schmieg von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof e.V. in Berlin. Ein wichtiger Punkt, gerade für Landwirte, die nach dem Schweinefüttern direkt in die Küche müssen, um das Frühstück für die Gäste anzurichten.
Auch die Spezialisierung der Höfe nehme zu. „Das geht von kulinarischen Schwerpunkten über Erlebnispädagogik bis hin zu Kneipp-Schulungen”, sagt Schmieg. Längst reicht es nicht mehr aus, ein Bett ins Kornfeld zu stellen. Die Höfe müssen etwas bieten können.
„Schon wenn man das Haus betritt, kommt einem ein kuhstallähnlicher Gestank entgegen“
Cornelia auf Holiday-Check
Das zeigen auch manche Bewertungen auf dem Vergleichsportal Holiday-Check. „Unterkunft sehr, sehr in die Jahre gekommen und sehr einfach gehalten“, schreibt hier Nutzerin Waltraud. „Schon wenn man das Haus betritt, kommt einem ein kuhstallähnlicher Gestank entgegen“, beschwert sich Cornelia. Die Gäste wollen nah an die Natur. Riechen darf es danach aber nicht.
Ericka und Manfred Hauser in der Oberpfalz haben sich deshalb entschieden, ihren Gasthof auf einer Insel im Fluss Schwarzach vom landwirtschaftlichen Betrieb zu trennen. Bis 2010 hatte ihr Hof 50 Kühe. Die sinkenden Milchpreise und die wachsenden Auflagen stellten die fünfköpfige Familie vor die Frage: wachsen oder weichen?
Die Hausers entschieden sich fürs Wachsen, allerdings in eine neue Richtung. Sie bauten eine Gastwirtschaft auf und vermieten mittlerweile sechs Ferienapartments. Ihr Aushängeschild ist das Chalet am Fluss inklusive Kingsize Bett mit Luxus-Matratze und Wellness-Bad mit Whirlpool und Regendusche.
Kein Interesse mehr an der Landwirtschaft
Ericka Hauser kümmert sich mit 13 Angestellten um das Wohl der Gäste, die aus Hamburg, Berlin und sogar England auf die Insel anreisen, um die gute Luft zu genießen. Die Landwirtschaft vermisst die gelernte Bäuerin nicht: „Die Bedingungen dort machen es einem mittlerweile sehr schwer, mit Herzblut dabei zu sein“, sagt Hauser.
Sie würde Gast- und Landwirtschaft auch nicht mehr mischen: „Ein Kollege hat gesagt, dass seine Gäste häufig nur am ersten Tag in den Stall reinschauen und sich dann nicht mehr für den landwirtschaftlichen Betrieb interessieren“, erzählt Hauser.
Nicht das Interesse am Bauernleben, sondern das Bedürfnis nach Erholung treibt die Menschen heute aufs Land. Milchkühe gibt es bei Ericka und Manfred Hauser zwar noch, allerdings leben die im Stall, in sicherer Entfernung von der Urlaubsinsel.
Autorinnen
Isabella musste sich bei den ersten Interviews an den bayerischen Dialekt gewöhnen. Manchmal schrieb sie aus Überforderung dann sogar auf Bayerisch mit.
Sarah traf im Chiemgau auf ein summendes Schwein – und später auf eine Redaktion, die ihr das partout nicht glauben wollte.