Laser, Algorithmen und Maschinen – im modernen Kuhstall wird Technik immer wichtiger. Der große Gewinner ist das Tier.
Mit einem leisen Surren putzt eine Bürste das Euter von Virginia, kurz bevor rote Laserstrahlen es abtasten. Dann setzt der Melkroboter schmatzend das Geschirr an ihre Zitzen und desinfiziert gleichzeitig die Bürsten. Schon beim Betreten der Melkbox hat er Virginia an einem blauen Sensor an ihrem linken Vorderbein erkannt.
Wenn Landwirt Bernhard Haimmerer seine 80 Kühe melkt, muss er nicht mehr selbst Hand anlegen. Auf seinem Hof in Anzing bei München überwacht er am Computer die aktuellen Kennzahlen aus dem Kuhstall: Wenn alles normal ist, erscheinen sie gelb. Auffällige Werte werden blau hinterlegt. Virginia ist zum letzten Mal um 1:24 Uhr in der Nacht vorbei gekommen, seither sind fast zehn Stunden vergangen. Zeit fürs nächste Melken.
Während die Werbung noch immer vorgaukelt, die Milch im Supermarkt stamme von Kühen, die auf Almen grasen, ist die Realität im Kuhstall längst digital. Moderne Technik nimmt Landwirt*innen heute viel Arbeit ab. Das ist nötig, um dem wirtschaftlichen Druck stand zu halten. Auf vernetzte Systeme zu setzen ist jedoch nicht nur für Menschen zukunftsweisend. Auch das Leben der Tiere verbessert sich durch die Technik.
Melken und Füttern übernimmt der Roboter
Seit Haimmerer 2014 seinen Hof neu baute, sind vier Roboter seine Helfer, 24 Stunden am Tag. Im Zentrum des Laufstalls steht ein Melkroboter, den die Tiere selbstständig und rund um die Uhr aufsuchen. „Ich würde den nicht wieder zurücktauschen“, sagt Haimmerer. Früher musste der Bauer zwei Mal am Tag von Hand das Melkgeschirr anlegen. Heute wird er bloß auf dem Smartphone benachrichtigt, wenn es ein Problem gibt.
Manche Tiere bräuchten eine Weile, um sich an den Roboter zu gewöhnen, erzählt der 48-jährige Landwirt. Dann kämen sie aber gerne, auch wegen des Lockfutters, das sie während des Melkens bekommen.
Seit mehr als 4000 Jahren trinken Menschen Milch und melken dafür Kühe: Dieser interaktive Zeitstrahl zeigt die Geschichte.
„Die Kühe entscheiden selbst, wann sie zum Melken gehen“, sagt Frigga Wirths, Tierärztin beim Deutschen Tierschutzbund. Auch das Gedränge vor einem klassischen Melkstand falle weg, was bei den Tieren weniger Stress verursache. „Der Bauer ist verantwortlich für seine Tiere. Technik kann ihn dabei unterstützen, aber er darf sich nicht zu sehr auf den Computer verlassen“, sagt Wirths. Außerdem können Roboter nicht zu Tierquäler*innen werden. Sie gingen immer gleich sanft mit den Tieren um.
Ein automatisches Fütterungssystem versorgt die Kühe von Bauer Haimmerer. Sechsmal täglich fährt es piepsend durch den Stall und verteilt bedarfsgerecht Futter. Während die Kühe in ihren Boxen stehen, lässt ein Einstreuroboter frisches Stroh über Vivat, Karlotte und ihre Gefährtinnen rieseln.
Durch die Gänge schiebt sich etwas, das aussieht wie ein gigantischer Staubsaugerroboter: ein Spaltenreiniger. Er mistet den Stall aus, indem er den Kuhdung in die Reinigungsschlitze schiebt. Nur den Geruch kann er nicht beseitigen.
Arbeitskräfte sind rar
Für Haimmerer sind die Roboter kein Spielzeug, sondern Notwendigkeit: Ohne sie könnte er seine Arbeit kaum schaffen. „Gerade wachsende Familienbetriebe investieren häufig in Robotersysteme für ihre Ställe, um keine Arbeitskräfte einstellen zu müssen“, sagt Ludwig Börger, Referatsleiter für Milch beim Deutschen Bauernverband (DBV).
Arbeitskräfte sind in der Landwirtschaft schwer zu finden: Der Lohn ist gering, die Arbeitszeiten unattraktiv. „Keiner will mehr körperliche Arbeit machen, wir haben jetzt mehr Arbeitsplätze für Hochqualifizierte“, sagt Andrea Rahn-Farr. Zusammen mit ihrem Mann leitet sie einen Hof in Bündingen bei Frankfurt mit 450 Milchkühen und setzt ebenfalls auf Digitalisierung.
Ein Beruf verändert sich
Die Branche befindet sich im Umbruch, auch wegen der anhaltend niedrigen Milchpreise: „Aktuell haben wir rund 60 000 Milchviehhalter in Deutschland. Davon geben jedes Jahr vier bis fünf Prozent ihre Betriebe auf“, sagt Ludwig Börger vom DBV. Wer weiter machen will, muss investieren – in Tiere und Technik.
So ist es auch bei Haimmerer: Mit dem Neubau seines Kuhstalls hat er den Bestand von 50 auf 80 Milchkühe erweitert, auch um den Melkroboter optimal auszulasten. Mehr als 130 000 Euro hat er dafür investiert.
Landwirt Bernhard Haimmerer hat einen Melkroboter. Trotzdem kennt er jede seiner Milchkühe genau. Foto: Lisa Kuner
Mit den Betrieben wandelt sich auch das Berufsbild. Bäuer*innen werden zu Herdenmagerin*innen. „Körperlich belastende Arbeiten werden immer stärker ersetzt, dafür gibt es mehr Arbeitszeit im Büro“, sagt Agrarwissenschaftlerin Stefanie Reith vom Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft in Darmstadt.
Ständig überwacht
Selbst wenn die Technik vieles erleichtert, gehört es immer noch zum Alltag der Landwirt*innen, bis spät in die Nacht im Stall zu stehen, etwa weil eine Kuh kalbt.
Mithilfe von Sensoren und Technik wird in den Kuhställen von Bernhard Haimmerer oder Andrea Rahn-Farr die Milchleistung der einzelnen Tiere ständig überwacht. „Die Leitfähigkeit der Milch ist zum Beispiel ein Indikator für die Eutergesundheit“, erklärt Andrea Rahn-Farr. Die Werte werden nun bei jedem Melken verglichen. So könne man bei Abweichungen sofort eingreifen und Krankheiten würden nicht erst bei den monatlichen Routine-Untersuchungen auffallen.
Im modernen Kuhstall kommen inzwischen zahlreiche Sensoren zum Einsatz. Ein Klick auf die roten Punkte zeigt, was möglich ist.
Big Data fürs Tier
Die Voraussetzung für Big Data im Kuhstall ist gerade in Bayern ein Problem: schnelles, zuverlässiges Internet. „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“, sagte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) im November 2018. Für Christoph Götz vermittelt so eine Aussage ein falsches Bild von den Bedürfnissen der modernen Landwirt*innen. Götz ist Sprecher des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Er sagt: „Gerade Milchbauern brauchen das Internet, in dieser Branche ist die Digitalisierung besonders weit fortgeschritten.“
„Gerade Milchbauern brauchen das Internet, in dieser Branche ist die Digitalisierung besonders weit fortgeschritten.“
Christoph Götz, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer
Die Bäuer*innen benötigen sowohl stabiles WLAN im Stall als auch mobile Daten auf dem Feld. Zum Beispiel um die individuellen Bewegungsprofile der Kühe auszuwerten. Die zeichnet das Pedometer, ein Schrittzähler am Tier, ständig auf. Bauer Haimmerer wertet die Daten dann am Computer aus. An den Kurven kann er vieles ablesen. Wenn eine Kuh sich beispielsweise mehr bewegt als gewöhnlich, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit brünstig und bereit zur Besamung.
Mit all diesen Daten umzugehen, setzt aber auch technisches Wissen voraus. Haimmerer hat deshalb mehrere Schulungen besucht. Auch der Nachwuchs beschäftigt sich bereits in der Ausbildung mit automatisierten Systemen. „Wer in Bayern Landwirt werden will, lernt im Laufe der Lehre vom Handmelken über den klassischen Melkstand bis hin zum Melkroboter alle Methoden kennen“, sagt Georg Hammerl, Leiter des Lehrhofs Achselschwang am Ammersee.
Wellness für die Kuh
In Bernhard Haimmerers Laufstall gibt es heute nicht nur mehr Technik, sondern auch mehr Platz als früher. Die Tiere bewegen sich frei. „Der alte Anbindestall würde hier vom Volumen her bestimmt zehn Mal reinpassen“, sagt der Landwirt.
Der neue Stall ist lichtdurchflutet, das Holzdach regelt die Temperatur. Wenn das Wetter es zulässt, öffnet der Bauer die Seitenwände und Tore. Es gibt sogar Wellnessbereiche für die Kühe: Massagebürsten, die sich bei Berührung zu drehen beginnen. Als nächstes will Haimmerer sich eine Kuhdusche anschaffen. Die würde die Kühe an heißen Tagen mit Wassernebel abkühlen.
Wellness und Melktechnik – für manche Städter*innen fast unvorstellbar. „Offensichtlich wissen viele nicht, wie wir arbeiten.“, sagt Andrea Rahn-Farr. Die Bäuerin versucht das zu ändern und bloggt auf den Sozialen Netzwerken über ihren Alltag.
„Offensichtlich wissen viele nicht, wie wir arbeiten.“
AnDrea Rahn-Farr, Milchbäuerin
Wer grundsätzlich denkt, dass Kuhhaltung zum Erzeugen von Milch falsch ist, wird sich von solchen Argumenten nicht überzeugen lassen. Andere bringt vielleicht schon ein virtueller Besuch auf dem Bauernhof weg von der Fernsehwerbung und näher an die Realität.
Derweil haben sich die Tiere längst an die neue Technik gewöhnt: Während der Spaltenroboter in Haimmerers Stall die Ritzen reinigt, schauen die Kühe Fanfare und Erika unbeteiligt zu. Sie heben höchstens ein Bein, um ihn vorbei zu lassen.
Autorinnen
Lisa fragt sich jetzt, ob wir in Zukunft überhaupt noch Kühe halten und tierische Lebensmittel essen sollten.
Lea war besonders fasziniert davon, dass der Bauer auf dem Hof, den sie besuchte, jede einzelne Kuh mit Namen kannte.