Biogasanlagen machen aus Gülle grüne Energie. Doch immer wieder kommt es zu Unfällen. Wenn die giftige Brühe ausläuft, drohen schwere Umweltschäden. Nun bricht den Betreibern auch noch die Förderung weg.
„Du Alfred, es spritzt ein bisschen.“ Mit diesen Worten meldet sich der Nachbar des Bauern Alfred Hösch am Telefon. Es ist der Ostermontag des Jahres 2018. Hösch verbringt den freien Tag in Würzburg, 70 Kilometer von seiner Biogasanlage entfernt. Doch bevor er realisieren kann, was dieser Anruf wirklich bedeutet, meldet sich sein Nachbar erneut: „Du Alfred, ich glaube, du solltest jetzt kommen.“
Zurück im mittelfränkischen Gutenstetten, sieht Hösch, wie eine etwa drei Meter hohe Gülle-Fontäne aus seiner Anlage schießt. Schuld ist eine geplatzte Gummidichtung: Innerhalb von sechs Stunden treten aus einer faustgroßen Öffnung rund drei Millionen Liter stinkendes Substrat aus. Mit Hunderten Helfern und schwerem Gerät gelingt es Hösch, eine Grube zu baggern und zu verhindern, dass die giftige Brühe einen nahegelegenen Bach flutet.
„Wenn’s dir ausläuft, dann zerlegen die dich.“
Energiebauer Alfred Hösch
Hösch hatte Glück im Unglück. Die große Katastrophe blieb aus. Trotzdem steckte der Bauer, man muss das so sagen, bis zum Hals in der Scheiße. Die Polizei ermittelte wegen fahrlässiger Boden- und Gewässer-Verunreinigung. Es ging um die Frage, ob Hösch beim Betrieb der Biogasanlage gepfuscht hatte. Hohe Geldstrafen, Knast, alles schien damals möglich. „Wenn’s dir ausläuft, dann zerlegen die dich“, sagt der Bauer. „Die finden jede lockere Schraube. Und wenn sie was finden, dann bist du dran.“ Doch die Gutachter konnten Hösch keinen Fehler nachweisen. Am Ende stand ein Freispruch für den Energiebauern.
Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu schweren Unfällen an Biogasanlagen.
Dezember 2007: Ein 17 Meter hoher und 20 Meter breiter Gärkessel explodiert in Daugendorf, Baden-Württemberg. Die Gülle fliegt 200 Meter weit. Umstehende Gebäude werden teilweise zerstört.
April 2010: Beim bislang größten Unfall in Deutschland platzt eine Anlage in Großkayna, Sachsen-Anhalt. 14 Millionen Liter braune Flüssigkeit überschwemmen eine Fläche der Größe von 300 bis 400 Fußballfeldern.
März 2019: Eine Anlage in Eggersdorf, Bayern, läuft aus. Eine Million Liter fließt in einen Bach. Fische sterben. Die Polizei spricht von einer „enormen Umweltschädigung“.
Seit 2005 gab es in Deutschland mindestens 400 Vorfälle. Das geht aus einer Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) hervor.
In Biogasanlagen werden tierische Fäkalien und Pflanzen – vor allem Mais – vergoren. So entsteht Gas, bei dessen Verbrennung Strom und Wärme gewonnen wird. Die Gärreste werden von den Bauern als Dünger verwendet. Treten allerdings Millionen Liter unkontrolliert aus, wird der Boden massiv belastet. Je durchlässiger der Grund, desto schlimmer die Folgen: Gülle kann das Grundwasser vergiften.
„Erhebliche Mängel“ in 85 Prozent der Betriebe
Lange Zeit wurde die Technologie dafür gefeiert, dass sie Energie aus dem natürlichen Stoffkreislauf abschöpft. Biogas ist grundsätzlich gut, heißt es vom Umweltbundesamt. „Gleichzeitig sind Biogasanlagen aber eine Gefahr für Mensch, Klima und Umwelt.“ Anfang des Jahres hat das UBA ein Papier veröffentlicht, in dem es auf eine neue Sicherheitsverordnung pocht. In bis zu 85 Prozent der Betriebe gebe es „erhebliche sicherheitstechnische Mängel“.
Neue Regulierungen lehnen Energiebäuerinnen wie Marie-Theres Schulte Spechtel ab. Schon jetzt gebe sie jährlich 30.000 bis 40.000 Euro für Kontrollen und Reparaturen an ihrer Biogasanlage aus. „Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Überprüfungen ich noch machen soll“, sagt sie. Ihre Anlage im nördlichen Ruhrgebiet ist doppelt so groß wie die von Alfred Hösch. 2009 stieg sie in das Geschäft ein. Einen Unfall gab es bei ihr noch nie.
Auch der Fachverband Biogas hält die Darstellung des UBA für übertrieben, man lehne das Papier als „seriöse Erkenntnisquelle“ ab. Mit „fragwürdigen und falschen Darstellungen“ zeichne das UBA ein „bewusst dramatisches Szenario“.
Die jüngste Kritik am Biogas kann Hösch nicht nachvollziehen. „Das galt doch als Zukunftstechnologie.“ Die Anlagen sollten maßgeblich zur Energiewende beitragen, die Bauern wurden mit üppigen Förderungen gelockt.
Hösch begann zu rechnen, das Ergebnis: Versorgt er sein Dorf noch mit der Wärme seiner Anlage, lohnt es sich für ihn. Er entschied sich, seine jahrzehntealte Schweinezucht der Gülle zu opfern. Noch hat er einige Tiere, im kommenden Jahr soll damit Schluss sein. Die Fäkalien liefern ihm bereits jetzt benachbarte Bauern.
Die Kritik am Biogas kommt zur Unzeit
2011 ging seine Anlage in Betrieb – und damit war er ein Spätzünder. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) war bereits seit elf Jahren in Kraft. Es garantiert den Bauern hohe und vor allem stabile Vergütungen für den Strom, den sie einspeisen. Ab Inbetriebnahme bekommen sie einen staatlich festgelegten Zuschuss für 20 Jahre. In den 2000ern waren Bauern, Anlagen-Hersteller und auch Politiker wie berauscht. Zwischenzeitlich gingen jährlich mehr als tausend Anlangen ans Netz. „Das neue EEG wirkt“, sagte der damalige Umweltminister Jürgen Trittin. Doch offenbar blieb die Sicherheit in der Boomzeit manchmal auf der Strecke.
Heute gibt es rund 9.000 Biogasanlagen in Deutschland, zehn Mal so viele wie 1999. Im Jahr 2017 kamen 5,4 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus Biogas. Mittlerweile werden nur noch kleine Gülle-Anlagen neu gefördert. Ohne staatliches Geld lohnt sich der Betrieb für viele jedoch nicht.
„Biogas ist eigentlich eine tolle Sache.“
Energiebäuerin Marie-theres schulte spechtel
Die Kritik am Biogas trifft die Betreiber daher zur Unzeit. Der Boom neigt sich dem Ende zu, viele Anlagen stehen kurz vor dem Aus. Im kommenden Jahr fallen die ersten Betriebe aus der Förderung. Die Energiebauern müssen sich dann ohne Subventionen auf dem Strommarkt behaupten. Anders als bei Solarstrom und Windenergie sind die laufenden Kosten bei Biogas immens. Die Anlagen müssen ständig befüllt und überwacht werden. Es braucht viele Zulieferer, um an die nötigen Mengen an Gülle, Mist und Pflanzen zu kommen. Dafür ist die Gasenergie jederzeit abrufbar, auch bei Windstille oder in der Nacht.
„Biogas ist eigentlich eine tolle Sache“, sagt Marie-Theres Schulte Spechtel, die Energiebäuerin aus dem Ruhrgebiet. Ähnlich wie Alfred Hösch hat sie immer viel Rückhalt von ihrer Gemeinde gespürt. Hösch liefert die Wärme für sein Dorf, sie beheizt ein Schwimmbad, eine Schule mit Sporthalle und das Gemeindezentrum. Jetzt werden beide sogar von Naturschützer angegriffen: „Biogas, das klingt zwar nach Bioladen und nachhaltiger Landwirtschaft“, sagt eine Sprecherin der Umweltschutzorganisation BUND. Tatsächlich hätten die massiven Zuschüsse aber Monokulturen befördert. Vielerorts werde für die Stromproduktion nur noch Mais angebaut.
„Nachvollziehbar ist das alles nicht mehr“, sagt Alfred Hösch. Er könnte wütend sein, leidenschaftlich dagegenhalten. Macht er aber nicht. Nur verstehen würde er gern.
Autoren
August und Felix sind heilfroh, dass sie eine Biogasanlage als Journalisten besuchten – und nicht als Taucher. Denn die müssen sich manchmal für Reparaturen in den brodelnden Sud abseilen.